Donnerstag, 16. April 2015

Stasi-Museum Normannenstraße















Im Januar 1990 wurden wir als wehrdienstleistende Bereitschaftspolizisten in einem LO aus Magdeburg nach Berlin gefahren, wo wir unseren Einsatzbefehl erhielten, zwei Wochen lang die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße zu bewachen, die von der Bevölkerung am 15.Januar gestürmt worden war. Wir schliefen in einer Kaserne in Blankenburg, wo schon niemand mehr auf unsere Kleiderordnung achtete, was eine große Erleichterung war, denn in Magdeburg hatte sich noch nicht viel verändert. Später wurde Blankenburg ein Asylbewerberheim und heute stehen die Gebäude leer. Abends ging es in die Normannenstraße, die Nacht über das Gelände "bestreifen". Es war kalt, manchmal versteckte ich mich hinter einer Tür, die ich entdeckt hatte, wo ich mich an einen Heizkörper hocken konnte. Am schlimmsten war aber wieder die Langeweile, deshalb durchwühlte ich Mülltüten, die tagsüber bei der Räumung von Büros gefüllt worden waren. Vielleicht befanden sie sich in den großen Plattenbauten, die das Gelände zur Straße hin abschlossen, und wo hier und da immer noch Licht brannte. Man wurde immer schamloser, und am Ende der Nacht waren die Säcke zerfetzt und alles lag auf dem Boden verteilt. Ich sicherte mir eine Pinnwand, Abzeichen zu einem Stasi-Jahrestag, der nicht mehr stattfand, Gasmasken, einen Helm, einen Löffel, in den MFS eingeprägt war. Heimlich lief ich in den Gebäuden das Labyrinth der langen Flure ab, wo Sperrmüll und Überreste der Stürmung zu großen Haufen zusammengefegt waren. Die Wände waren beschriftet mit Stasi-Beschimpfungen, manchmal stand auch quer über einen Schreibtisch: "Freiheit für meine Akte!" Ich fand eine komplette Kaufhalle und brach in einen Stasi-Buchladen ein, wo ich mir eine Reclam-Ausgabe von Rilkes "Malte Laurids Brigge" klaute. Vielleicht dachte ich auch, ich könnte irgendwo meine Akte finden. Das ältere Diensthalbjahr blieb solange in der Pförtnerloge von Mielkes Hauptgebäude, wo wir auf Pritschen schliefen, und guckte "Ghostbusters", der Film lief damals auf RTL. In einem alten Telefon-Protokollheft stand etwas von desertierten Russen mit Kalaschnikow. Eigentlich sollte ich ja eine Wand zwischen zwei Häusern bewachen, über die man von der Frankfurter Allee rüberklettern konnte, und die heute verschwunden ist, der Durchgang steht offen. Ich war viel zu naiv, um mir vorzustellen, daß mein Wachdienst wirklich einen Zweck haben konnte.
Und heute befindet sich im Hauptgebäude ein Museum, und ich komme mir mit meinen Erinnerungen vor wie ein Gespenst. Die Formsteine der überdachten Zufahrt sind mir damals überhaupt nicht aufgefallen, Hubert Schiefelbeins X-Element SE1, kurioserweise in vier Lagen übereinander, obwohl es eigentlich nur 150 cm hoch gestapelt werden durfte (Quelle: "Kunstvolle Oberflächen des Sozialismus"). Für so etwas hatte ich damals kein Auge, vielleicht war der Anblick auch zu selbstverständlich. Ich bekomme zur Eintrittskarte einen FDJ-Aufnäher "Traditionsnamensträger Fritz Schmenkel" geschenkt, aus alten Beständen. "Schmenkel" hieß auch der Jugendclub in Baumschulenweg, wo ich AG Geige gesehen habe. Das Treppenhaus mit rotem Marmor, die schönen Deckenleuchten. Warum damals eine Etage mit schweren Ketten abgesperrt war, erschließt sich mir jetzt, es ist der Bürotrakt von Erich Mielke. Was würde man hier erwarten? Einen Exzess an Machtsymbolik? Jedenfalls keine so altväterliche, gediegene, ganz und gar nicht bedrückende Einrichtung. Die Räume sind holzgetäfelt, helles Parkett, elegante, skandinavisch anmutende, blau bezogene Sessel, so könnte auch ein westdeutscher Firmensitz aus dieser Zeit aussehen. Das Schreibtischtelefon mit den vielen Tasten erinnert an die Phantasie, jeden Winkel seines Imperiums erreichen zu können, um Befehle zu erteilen und Berichte zur Lage anzufordern. Nebenan die Liege, wo er Mittagsschlaf gehalten hat. War er eigentlich verheiratet? Ein Philips-Farbfernseher altert irgendwie schneller als die Möbel. Sind das im Vorzimmer eigentlich Hellerau-Möbel? Wie gemütlich der Clubraum mit den Leder-Drehsesseln wirkt, hier konnten die Herren nach der Besprechung rauchen. Ein Zitat von Wilhelm Pieck an der Wand: "Nur ein Kämpfer, der innerlich froh ist, der singt und sich seines Lebens freut, wird in ernster Stunde seine ganze Kraft zur Verteidigung dieses frohen glücklichen Lebens einsetzen. Menschen aber, die innerlich verknurrt sind, unzufrieden mit sich und dem ganzen Leben, haben keinen Mut, ihr eigenes Leben und das ihres Volkes zu verteidigen." War Mielke "innerlich froh" oder "verknurrt"? Getrunken und gesungen hat er ja gerne. Er wirkte nicht sehr intelligent, das hat er sicher mit Brutalität wettgemacht. Und er war ein Musterdeutscher, auf einer Karteikarte hat er skizziert, wie er sein Frühstück serviert haben wollte: Brot, Marmelade, Ei, Serviette, Messer.
Ein "Dampfentwickler" zum Öffnen von Briefen. Man sah das ja sehr deutlich, wenn Briefe auffallend ordentlich wiederzugebügelt waren. Hat mich das als Kind gegruselt? Eigentlich nicht. Ich hatte Glück und war für die Stasi noch uninteressant, jedenfalls denke ich das. Man hat sich über die schnurrbärtigen Männer mit Ostjeans und Beuteln, die unauffällig an den Ecken standen, lustig gemacht. Andere haben sie so fertiggemacht, daß sie sich aus Verfolgungswahn die Zähne ziehen ließen, weil sie glaubten, daß dort Sender eingebaut worden waren.

Keine Kommentare: